Albrecht Dürers «Männerbad» – Körperkult, Krankheit und künstlerische Raffinesse

Ein Blick auf Albrecht Dürers frühen Holzschnitt Männerbad aus dem Jahr 1498 offenbart weit mehr als eine alltägliche Badeszene. Das Werk, das sich formal an die satirischen und moralisierenden Traditionen spätmittelalterlicher Badedarstellungen anlehnt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als vielschichtige Reflexion über Körperlichkeit, Vergänglichkeit und gesellschaftliche Normen.

Abb.1: Albrecht Dürer, Männerbad, 1498, Holzschnitt, 38.5 x 28.0 cm, Inv-Nr. D 1263, Graphische Sammlung ETH Zürich

Komposition und Atmosphäre

Aufgeteilt in drei Zonen – Stillleben, Badegruppe und Hintergrundlandschaft – entfaltet Dürer eine kunstvolle Komposition: Im Zentrum steht eine Laube, unter der sechs Männer unterschiedlichen Alters leicht bekleidet zusammenkommen, um zu trinken, zu musizieren und offenbar das sinnliche Leben zu geniessen. Die Kulisse einer spätmittelalterlichen Stadt, mit Fachwerkhäusern und Burg, ergänzt das Geschehen ebenso wie der Blick eines jungen Mannes in der Bildmitte: ein Reisender – und Voyeur? – der zugleich Alter Ego der Betrachtenden sein könnte.
Obwohl das Motiv einer Badeanstalt gewählt wurde, spielt die aktive Körperreinigung kaum eine Rolle. Vielmehr scheint eine ästhetische Auseinandersetzung mit dem männlichen Akt im Vordergrund zu stehen. Die dargestellten Körper – in unterschiedlichen Posen und Perspektiven – spiegeln Dürers intensive Beschäftigung mit dem menschlichen Körper wider, ein Interesse, das durch seine Italienreise und die Begegnung mit der Renaissancekunst, insbesondere mit Andrea Mantegnas Arbeiten, zusätzlich befeuert wurde. Die Darstellung verschiedener Körperformen erinnern beispielsweise an Mantegnas Kupferstich Bacchanal mit Silen.

Abb. 2: Andrea Mantegna, Bacchanal mit Silen, um 1475, Kupferstich und Kaltnadel, 29.1 x 45.6 cm, Inv-Nr. D 150, Graphische Sammlung ETH Zürich

Verborgene Hinweise

Doch Dürers Werk ist mehr als eine reine Körperstudie. Subtile Details laden zur weiterführenden Deutung ein. So kann die Szene auch als eine Allegorie der fünf Sinne betrachtet werden. Der Tastsinn wird durch den Schaber ausgedrückt, der dazu dient, den Schweiss von der Haut abzuwischen. Dieser wird von der linken Figur in der Mitte gehalten. Gegenüber sitzt ein weiterer Protagonist mit einer Blume in der Hand, die für den Geruchssinn steht. Weiter im Hintergrund stillt ein Mann seinen Durst mit einem Humpen – ein Verweis auf den Geschmacksinn. Der Sehsinn taucht gleich doppelt auf: Wir als Betrachtende nehmen die Szene visuell auf, ebenso wie der junge Mann im Hintergrund, der das Geschehen neugierig beobachtet. Der Hörsinn schliesslich manifestiert sich in der Musik – gespielt von Flötisten – und im Mann am Brunnenstock, der sich scheinbar ganz dem Lauschen hingibt.
Besonders ins Auge fällt der Drehgriff des Wasserhahns am Brunnenstock. Er ist in der Form eines Hahns gestaltet – nicht nur als humorvoller Einfall, sondern womöglich als vielsagende Anspielung: Der lateinische Begriff gallus bedeutet Hahn sowie auch Gallier – eine Assoziation, die im Kontext der sogenannten «Franzosenkrankheit», lat. morbus gallicus, kaum zufällig erscheint. Unter diesen Namen war die Syphilis im deutschsprachigen Raum bekannt, die sich ab 1494 seuchenartig über Europa verbreitete. Tatsächlich wurde in Nürnberg bereits 1496 ein Badeverbot für Infizierte verhängt. Dürers persönliche Auseinandersetzung mit der Krankheit ist belegt, unter anderem durch einen Brief an seinen Freund Willibald Pirckheimer und eine illustrative Beteiligung an einer medizinischen Schrift. Die Kunsthistorikerin Birgit Ulrike Münch geht auf diesen Zusammenhang in ihrem Aufsatz Das Männerbad, der Jerbacher Altar und die große Angst vor den frantzosen: Albrecht Dürers vielschichtige Klagen über die Syphilis weitgehend ein.

Abb. 3: Albrecht Dürer, Männerbad, Detail, 1498, Holzschnitt, 38.5 x 28.0 cm, Inv-Nr. D 1263, Graphische Sammlung ETH Zürich

Zwischen Warnung und Ironie

Das Blatt kann demnach als visuelle Warnung oder Klage über die neue Krankheit – vielleicht aber auch als ironische Brechung der überkommenen Badekultur – gelesen werden. Zwischen lustvollem Miteinander und latentem Unbehagen oszillierend, hält das Männerbad den Betrachtenden einen Spiegel vor, in dem Schönheit, Begierde und Vergänglichkeit komplex ineinander verschränkt sind.


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