Auf der Suche nach den verlorenen Zeichen – Monotypien von Athene Galiciadis
Seit 2022 besitzt die Graphische Sammlung ETH Zürich sechs Monotypien von Athene Galiciadis (*1978). Diese sind Teil einer Werkgruppe, die die Schweizer Künstlerin als Vorarbeit für ein Künstlerbuch entwickelt hat. Darin geht sie den geheimnisvollen Ursprüngen von Zeichen nach und taucht dabei tief im «Hintergründigen» von Raum und Zeit ein. Als Inspirationsquelle hat ihr dabei die Zeichenmethode und Formensprache von Emma Kunz (1892–1963) gedient.
Schon als Kind soll Athene Galiciadis lieber in Bildern als in Wörtern gedacht haben. Auch ihr späteres künstlerisches Werk ist geprägt von Zeichen und Symbolen. In den farbigen Linolschnitten, in denen sie spielerisch Kombinationen von einfachen Formen durchspielt, weiss sie die geometrische Strenge mit Lust an der Abweichung zu durchbrechen. Im Rahmen des Publikationsprojektes für die Edition Patrick Frey hat sich Galiciadis 2018 für einmal intensiv mit dem Werk der Künstlerin, Heilerin und Forscherin Emma Kunz beschäftigt und sich dabei auf deren reiches und hintergründiges Werk eingelassen, das in eindrücklicher Art und Weise Kunst, Wissenschaft und Religion verbindet. Im Vorfeld ist eine Reihe von Monotypien entstanden, in deren Zentrum rätselhafte Gebilde stehen.
Neuartige Zeichnungsmethode
Am Fusse des Säntis, wo sich Kunz 1938 zurückgezogen hatte, widmete sich die Visionärin dem Verständnis der Naturgesetze und versenkte sich in die Zeichnungsarbeit. Sie begann ihr umfangreiches Wissen um die spirituellen und magnetischen Kräfte der Natur mit Hilfe eines Pendels auf Millimeterpapier zu dokumentieren. Ausgehend von einer konkreten Frage stellte sie sich in hoher Konzentration vors Papier und lotete mit ihrem Pendel die Zeichenfläche aus, hielt Punkte und Richtungen mit Farbstiften fest, die sie später zu hochkomplexen geometrischen Kompositionen fügte. Als Reverenz lässt Galiciadis Emma Kunz gar wiedererstehen, so wie diese 1958 an ihrem Arbeitsplatz in Waldstatt von Werner Schoch fotografiert worden ist.
Reenactment mit Glaspyramide
Doch Galiciadis betreibt in ihrer eigenen Klausel, ihrem Atelier in Schlieren, nicht nur ein «Reenactment», sondern gleich auch eine ähnliche Recherche wie das Vorbild, als sie sich an die Auswertung der ihrerseits wahrgenommenen Schwingungen macht. An Acrylic Glass Pyramid and Three Pendulums Attached to a Triangle on a Table – so der Titel der Publikation, beschreibt die eigenwillige Konstruktion der Künstlerin, die ihr die Koordinaten- und Kulminationspunkte liefern soll, die sich zu seltsam archaisch anmutenden Spiralen, Mustern und Geflechten im Buch verbinden. Allerdings entstehen die haarfeinen Strukturen im zartem Rosa erst im zweiten Schritt, nämlich als digitale Umsetzung der analogen Vorlagen der Künstlerin. Diese erschafft sie als fragile Zeichnungen mit Farbstiften auf weissem Papier, das sie auf eine mit Farbe bemalte Platte legt. Der Abdruck der oft spiralartigen Figuren zeichnet sich dann mal als dunkler Umriss, mal als deren Geist vor einem farbigen Hintergrund ab. Wie kodierte Wissensformen steigen die geflochtenen Kürzel aus den Tiefen einer anderen Zeit auf.