Ausschneiden und Aufkleben. Ein Fächer für die Damen von Agostino Carracci

Die moderne Präsentation von Altmeistergraphik in Sammlungen lässt uns nur allzu leicht vergessen, dass die bedruckten Blätter ganz unterschiedliche Funktionen hatten, bevor sie zu rein musealen Objekten wurden. Ein Kupferstich von Agostino Carracci (1557–1602) ist gut geeignet, sich diese Tatsache einmal mehr in Erinnerung zu rufen. Das Blatt war nämlich dazu gedacht, ausgeschnitten und dann auf einen formgleichen Karton aufgeklebt zu werden, um einer Dame als Fächer zu dienen.

Agostino Carracci, Fächer, um 1590–1595, Kupferstich, 394 × 276 mm. Graphische Sammlung ETH Zürich, Inv. 11999

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Die Gestaltung des Blattes ist massgeblich von dieser vorgesehenen Nutzung bestimmt. Sofort fällt auf, dass die drei Medaillons rechts unterhalb des Fächergriffs so angebracht sind, dass sie nebeneinander auf dem Bogen Platz finden, ungeachtet der Tatsache, dass die Bilder dann schräg und gekippt erscheinen: Da die Bildchen sowieso ausgeschnitten werden sollten – sie dienten als Alternativen zum Überkleben der beiden Medaillons auf dem Fächer –, spielte ihre Orientierung auf dem Blatt keine Rolle. Links des Griffes zeugt eine zarte, ein Oval andeutende Linie davon, dass ein weiteres Medaillon geplant war. Auch die Wahl des sehr dünnen Papiers aus minderwertigem Fasermaterial, das wohl vergleichsweise preisgünstig war, ist auf ein eher kurzlebiges Endprodukt hin ausgerichtet.

Jacques Callot, Fächer, 1619, Kupferstich, 228 × 303 mm. Graphische Sammlung ETH Zürich, Inv. 10458

Ein Party-Souvenir
Über die Frage, für welchen konkreten Anlass die Produktion der Fächer vorgesehen war, kann leider nur spekuliert werden. Mehr Informationen liegen bei einem vergleichbaren Kupferstich von Jacques Callot aus dem Jahr 1619 vor, der ebenfalls einen zum Ausschneiden und Aufkleben bestimmten Fächer zeigt. Hier ist bekannt, dass Cosimo II. de‘ Medici die Produktion von nicht weniger als 500 Fächern veranlasste, die als Erinnerungsstücke an die aufwendigen Feierlichkeiten zum Fest des heiligen Jakob dienen sollte, die am 25. Juli 1619 in Florenz stattgefunden hatten.

Agostino Carracci, Fächer, 1590–1595, Feder in braun über schwarzer Kreide, durchgegriffelt, 300 × 277 mm. Privatsammlung

Der versteckte Blick
Carracci hat für seinen Fächer eine Vorzeichnung angefertigt, die sich zum Glück erhalten hat. Sie zeigt, dass ursprünglich anstelle des unteren Medaillons die Einfügung von Text geplant war. Die oberste Zeile gibt den Beginn eines seinerzeit noch unveröffentlichten Gedichtes Michelangelos wieder, das den Austausch von Blicken zwischen Mann und Frau thematisiert. Das passt freilich bestens zu einem Objekt, das unter anderem dazu dient, das eigene Gesicht und insbesondere die Augenpartie dem Blick des Gegenübers spielerisch zu entziehen. So verwundert es nicht, dass die vielen Gesichter und Figürchen, die auf dem gestochenen Fächer zu entdecken sind, das Thema Blick verschiedentlich aufgreifen. Ganz oben erscheint zwischen den Federn der Kopf eines keck zur Seite blickenden Putto. Darunter, im ovalen Hauptbild, die Göttin Diana, die bekanntlich Aktäon empfindlich dafür bestrafte, sie unerlaubt beobachtet zu haben. Hier ist es nun aber sie selbst, deren liebliches Augenpaar direkt auf den Betrachter gerichtet ist. Den maximalen Kontrast dazu bietet der in der Kartusche steckende Kopf eines bärtigen Alten – eine Skulptur imitierend, sind seine Augen blind und gänzlich ohne Pupillen. Das untere, querovale Medaillon zeigt einen Ausblick auf eine Landschaft mit einem See. Dort baden zwei nackte Nymphen, die nicht sehen, was wir sehen, nämlich, dass sie von einem hinter einem Baum versteckten Satyr heimlich beobachtet werden. Und zuunterst am Griff erscheint ein Hund, dessen Augen geschlossen sind.

Illusion und Sammlerglück
Obwohl es sich, salopp gesagt, um ein Wegwerf- und Massenprodukt handelte, ist Agostinos Kupferstich selbst von hoher Qualität. Offensichtlich war Agostino die Illusion von Dreidimensionalität und Materialität ein besonderes Anliegen. Die sich nach vorn wölbenden, von links beleuchteten Straußenfedern etwa treten wie ein Vordach aus dem Bild heraus und vermitteln den Eindruck, mit zarten Bewegungen umgehend auf jeden auch noch so kleinen Lufthauch zu reagieren. Die noch erhaltenen Abzüge des Stiches, sowie die offensichtlich später hinzugefügte, radierte Signatur „Agust. Carrazza Inu. e fe“ zeugen denn auch davon, dass das Blatt schon bald auch als Sammlerstück des berühmten Stechers wahrgenommen und geschätzt wurde.


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