Begleiter in der Jackentasche – 33 Skizzenbücher des Architekten Julius Stadler

Eines der Skizzenbücher von Julius Stadlers in der Graphischen Sammlung ETH Zürich mit deutlichen Gebrauchsspuren, 1851

Skizzenbücher, vor allem, wenn sie dauernd als Begleiter in der Jackentasche stecken, sind für Architekten so etwas wie Tagebücher. Sie geben einen Einblick in die persönliche Entwicklung und halten prägende Eindrücke fest. Von dem Architekten Julius Stadler (1828–1904) besitzt die Graphische Sammlung ETH Zürich ganze 33 Stück – und das ist nur ein Teilbestand, denn gefüllt hat er noch einige Skizzenbücher mehr. In seinem Fall dokumentieren die Bücher nicht nur seine Entwicklung. An ihnen lässt sich ebenfalls sein beruflicher Werdegang ablesen, wie die folgenden Ausführungen zeigen.

Karlsruhe
Julius Stadler reiste mit 16 Jahren nach Karlsruhe, um dort am Polytechnikum zu studieren. In der Schweiz gab es damals noch keine vergleichbare Institution. Leiter der Bauschule war Heinrich Hübsch, der prägende Lehrer Friedrich Eisenlohr. Ihre Lehren waren für Julius Stadler die Grundlage seiner akademischen Ausbildung. Seine Skizzenbücher aus dieser Zeit sind voll mit romanischen und gotischen Bauwerken, die er auf Exkursionen zeichnete. Im Gegensatz zu seinem Vater Hans Conrad Stadler, der während seines Studiums in Karlsruhe den Klassizismus von Friedrich Weinbrenner verinnerlichte, setzte sich sein Sohn mit dem Rundbogenstil von Hübsch und der Neugotik von Eisenlohr auseinander. 1848 wurde die Schule wegen der Märzrevolution vorübergehend geschlossen und Julius Stadler landete auf dem Umweg über München in Berlin.

Berlin
Sein Lehrer an der Berliner Akademie war der Schinkelschüler Heinrich Strack. Die Skizzenbücher zeigen nun, wie Julius Stadler die Bauten von Friedrich Schinkel für sich entdeckt – von dem grossen preussischen Baumeister, der den Klassizismus und Historismus entscheidend mitgestaltet und für viele Generationen von Architekten prägend war. Der Eindruck muss überwältigend gewesen sein. In Berlin beteiligte er sich auch an den Monatskonkurrenzen des Architektenvereins. Die dort von den Studierenden und jungen Architekten eingereichten Entwürfe wurden von einer Jury aus angesehenen Professoren bewerten, hattet aber keine Aussicht auf Ausführung. Als erste bekannte eigene Arbeit lässt das prämierte Projekt für die Monatskonkurrenz vom November 1850 bereits den Einfluss von Schinkel erkennen. Es ist eine luftig leichte Komposition einer Orangerie.

Heimreise
Auf der Reise von Berlin zurück nach Zürich ist Stadler im Mai 1851, er ist nun 22 Jahre alt, in München und skizziert auf drei Seiten einen «Entwurf für ein Landhäuschen». Es ist ein erster Versuch, das was er gelernt hat und das was ihn begeistert zusammenzubringen. Die Grundrissidee übernimmt er von Schinkels «Lusthaus an der Havel bei Potsdam». Der Aufriss ist offensichtlich inspiriert von Schinkels Römischen Bädern: die Komposition der Volumen, der flache Giebel des Hauptgebäudes, der Turm als vertikaler Akzent. Aber die Fassadengestaltung ist alles andere als klassizistisch oder einem toskanischen Landhaus nachempfunden. Es ist ein Fachwerkhaus, inspiriert von der traditionellen Holzarchitektur des Alpenraumes. Es könnte eines der vielen Bahnwärterhäuschen von Eisenlohr sein. Einzig die Nutzung des Turms – im Erdgeschoss ist darin der «Abtritt» (das Klohäuschen) untergebracht – ist entwurfstechnisch noch nicht ganz ausgereift.

Julius Stadler, Entwurf eines Landhäuschens, Mai 1851, Skizzenbuch, Graphische Sammlung ETH Zürich

Eine abschliessende Antwort auf die Frage seines Lehrers Heinrich Hübsch, in welchem Stile man denn bauen solle, ist für Stadler also noch nicht gefunden. Die folgende Studienreise nach Italien eröffnet noch einmal ganz neue Perspektiven. Er begegnet in Florenz dem berühmten Schweizer Kunsthistoriker Jacob Burckhardt auf seiner Cicerone-Reise und entdeckt die Renaissance. Burckhardt wird in seiner nächsten Publikation «Geschichte der Renaissance in Italien» viele Skizzen von Stadler, die bei diesem gemeinsamen Aufenthalt entstanden sind, als Illustrationen verwenden. Unmittelbar nach dieser Reise wird Burckhardt Professor am 1855 neu eröffneten Polytechnikum in Zürich für Kunstgeschichte und Archäologie. Gut möglich, dass Burckhardt sich für Stadler einsetzte, denn dieser bekam eine «Hilfslehrer»-Stelle angeboten. Der Leiter der Bauschule ist Gottfried Semper, dessen Nachfolger er 1872 werden wird.


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