Die Erfindung einer Marketingstrategie
Mit einem prall gefüllten Rucksack humanistischer Bildung gelangte der Kupferstecher Marcantonio Raimondi 1510 über Florenz nach Rom. Er war auf der Suche nach Zusammenarbeit mit einem Maler für die gestochene Wiedergabe von dessen künstlerischen Erfindungen.
Mit Michelangelo hatte er es versucht – dieser duldete aber auf Dauer keine Konkurrenz dieses begabten Spezialisten. In Rom bot sich Marcantonio jedoch die künstlerischen Kreise im Umfeld des Papstes an, namentlich der junge, aufstrebende Liebling von Papst Julius II.: Raffael, wie der mit bürgerlichem Namen Raffaello Sanzio da Urbino kurz genannt wurde.
Instrument des Selbstmarketings
Anhand einer ersten Arbeit des Kupferstechers nach einer Vorlage des Malers erkannte Raffael mit einem Schlag das ganze Marketingpotential dieser vervielfältigenden Kunst: Seine Malereien in den päpstlichen Gemächern, so wurde ihm bewusst, waren der breiten Öffentlichkeit nicht zugänglich. Sein Ruf als – so hoffte er einst in die Geschichte einzugehen – bedeutendster Maler seiner Zeit würde in naher Zukunft deshalb nur durch das Hörensagen begründet bleiben. Gewiss nicht genug, so folgerte er für sich, um seinem Anspruch um Anerkennung gerecht zu werden. Hier kam ihm Marcantonio, der junge talentierte Kupferstecher gerade recht. Ein eigener Verlag mit Bildreproduktionen nach seinen Gemälden und Zeichnungen sollte es richten. Marcantonio Raimondi setzte er als dessen Direktor ein. Ein Kupferstich nach dem anderen wurde angefertigt, gedruckt und zum Verkauf angeboten. Die Nachfrage war gross und die Kunde über seine malerischen Errungenschaften verbreitete sich rasch in ganz Europa. Er verpflichtete deshalb weitere junge Kupferstecher für sein Verlagsteam, unter ihnen den aus Ravenna gebürtigen Marco Dente, oder die Talente dieser Druckkunst, Agostino Veneziano und Giovanni Giacomo Caraglio. Das Instrument des Selbstmarketings war erfunden – Raffaels Ruhm zehrt noch heute von seiner innovativen und klugen Entscheidung.
Bis zum 5. Februar 2017 waren bedeutende Kupferstiche aus diesem Verlag Raffaels in der Ausstellung „Das wahre Gold eines Bankiers. Druckgraphik aus der Sammlung Heinrich Schulthess-von Meiss“ in der Graphischen Sammlung ETH Zürich zu sehen. Der Ausstellungskatalog kann in unserem Shop erworben werden.