Enthauptungen in Serie – Dem Fetisch in der Kunst auf der Spur

Dinge erhalten oft zusätzliche Bedeutungen – im Alltag wie in der Kunst. Zusammen mit der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen ist die Sammlungskonservatorin Alexandra Barcal durch die reichhaltigen Bestände gegangen, um kuriose Gegenstände in den Darstellungen ausfindig zu machen. Diese enthalten häufig eine erotische Aufladung, stehen für sublimierte Leidenschaften. Dabei konnten über die Jahrhunderte gemäss der «Pathosformel» von Aby Warburg thematische Konstanten und überraschende Parallelen ausgemacht werden. Eines dieser Kapitel beschäftigt sich mit der Rolle des verselbständigten Hauptes.

Bei unserer Recherche sind wir von einem kleinen Kupferstich von Barthel Beham ausgegangen. Dieser zeigt den entblössten Körper der alttestamentarischen Judith, die den abgeschlagenen Kopf des von ihr getöteten Holofernes in der linken Hand hält. Sie sitzt mit ihrem nackten Hintern auf dessen Oberkörper und blickt nach rechts aus dem Bild. Ihre stolze Haltung bezeugt ihre Überlegenheit. Das Schwert, das sie in der rechten Hand hält, lässt sich ebenfalls als Zeichen ihres Triumphs über das Böse verstehen. Sie ist am Leben, der Tyrann hingegen liegt tot am Boden. Die Darbietung der beiden Körper lebt von einer weiteren Diskrepanz. Im Gegensatz zu ihrem schönen, ebenmässigen Körper ist seiner visuell verzerrt. Der Kopf passt nicht mehr zu seiner Brust. In ihrer Pose könnte man erotischen Genuss lesen, berührt doch sowohl ihre nackte Haut wie auch ihre Scham den Leichnam. Sie schaut den impliziten Betrachter zwar nicht an, doch ihre Brüste, ihr Bauch, ihr Nabel – der in dem des Getöteten eine Entsprechung findet – sind als anmutige weibliche Nacktheit ausgestellt. Die lockigen Haare, die über ihren Rücken fallen, bilden einen Ersatz für die Schamhaare, die von ihrem linken Bein verdeckt sind.

Abb. 1: Barthel Beham, Judith auf dem Leichnam des Holofernes sitzend, 1525, Kupferstich, Inv.-Nr. D 8041, Graphische Sammlung ETH Zürich

Macht und zerstörerische Lust
In unserer Ausstellung enthauptet Judith den Tyrannen Holofernes immer wieder mit seinem eigenen Schwert. Es ist eine Geste der Ermächtigung. Mal sieht man sie nur allein mit ihrer Trophäe, mal übergibt sie das Haupt einer Dienerin. Mal sieht man den geköpften Feldherrn tot hinter ihr liegen. Sie thront über ihm. Ob nackt oder bekleidet, ob forsch herausfordernd, andächtig oder verzückt, immer hat sie das Schwert noch immer bei sich. Sie hat sich den Fetisch männlicher Herrschaft angeeignet. Zugleich ist der abgeschlagene Kopf visuell in die Nähe ihres Bauches gerückt. Dies bezeugt eine gewaltsame Geburt. Er stellt als Beute ihre Macht dar. Die Gegenüberstellung von weiteren Blättern rückt diese Pathosformel in die Nähe einer anderen biblischen Gestalt. Oft liegt das abgeschlagene Haupt hier auf einer Schale. Salomé hat sich den Kopf von Johannes dem Täufer von ihrem Stiefvater gewünscht. Die Geschichte wird wiederholt auf das Überreichen dieses zum Ding reduzierten Hauptes reduziert. Auf dem Teller angerichtet ist dieser Kopf auch Zeichen ihrer zerstörerischen Lust. Bei Paul Bürger-Diether betastet der verführerische Vamp gar neckisch das vor ihm aufgetischte tote Gesicht, der abgetrennte Kopf ist gar nochmals angeschnitten.

Abb. 2: Paul Bürger-Diether, Salomé mit dem Kopf Johannes des Täufers, 1911, Kaltnadel, Inv.-Nr. D 1867, Graphische Sammlung ETH Zürich

Der erotisierte Blick
Zugleich dienen die lasziven Frauengestalten selbst als Objekt eines erotisierten Blickes. Judith mag den Erschlagenen mit ihrem sitzenden Körper beherrschen, unser Blick aber beherrscht sie. Der Blick des Voyeurs macht, was er anblickt, zum Gegenstand seiner Lust. Statt zu berühren, betrachtet er. Er projiziert sich auf den Körper, der sich seinem Anblick anbietet. Er tastet ihn mit seinem Auge ab, dringt in seine Öffnungen ein, nimmt ihn in Besitz. Aber ist es nur ein männlicher Blick, der hier zum Fetisch erhöht wird? Gibt es andere Perspektiven der Betrachtung in dem Zwischenspiel von zur Schau gestellten weiblichen Nacktheit und einem Betrachtenden, der manchmal im Bild mit anwesend ist, manchmal nur durch das Blickführen angedeutet wird? Salomé, die in der Kaltnadelarbeit von Pablo Picasso nackt vor ihrem Vater tanzt, führt eine Ambivalenz in diese Blickökonomie ein. Es ist die voyeuristische Lust an diesen archetypischen Frauenfiguren, die für den Mann tödlich ist. Zum erotischen Anblick umgestaltet kann die Bedrohung, die von ihnen ausgeht, jedoch ungestraft genossen werden.

Abb. 3: Pablo Picasso, Salomé, 1913, Kaltnadel, Inv.-Nr. 1093.0, Graphische Sammlung ETH Zürich / Depositum Gottfried Keller-Stiftung © Succession Picasso / 2024, ProLitteris, Zürich

Weitere Details zu den Blättern finden Sie in unserem Sammlungskatalog Online

 


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