Im Auge des Sturms – Farblithographien von Dominik Stauch

Dreht sich ein tropischer Wirbelsturm schnell genug, kann sich in den gewaltigen rotierenden Wolkenmassen bekanntlich ein windstilles Auge bilden. Diese Assoziation steigt unvermittelt in einem auf, wenn man die sechsteilige Serie mit dem sinnbildlichen Titel Hurricane von Dominik Stauch (*1962) betrachtet. Nicht nur scheinen sich hier unterschiedliche Farbballungen zu vermengen, auch thematisch schwirrt so einiges herum: neben bunten Palmen sind karge Räume zu erkennen. Was hat ein orientalisch angehauchtes Intérieur mit einer Rakete zu tun? Kaum hat man Zeit, die ersten Ahnungen auszuformulieren, schon eilt man zum nächsten Sujet. Das ist doch Bob Dylan! Doch plötzlich kehrt Ruhe ein, dämmert einem ein grösserer Kontext. Um sogleich neue Unruhe auszulösen, neue Zusammenhänge aufzuwirbeln.

Abb. 1: Dominik Stauch, Hurricane, 2015, Serie von sechs Farblithographien, jeweils 76 x 65 cm (Blattgrösse), Graphische Sammlung ETH Zürich (Inv.-Nr. 2019.254.1-6) © Künstler

Der in Thun lebende Künstler greift in seiner Serie auf Bilder aus dem allgemeinen kulturellen Bewusstsein zurück. Genauer betrachtet entpuppt sich das Schlösschen am Wasser (Abb. 1, u.M.) nämlich als das legendäre Wohnhaus von Carl Gustav Jung in Küsnacht am Zürichsee und die sakrale Leere herrschte im New Yorker Atelier von Mark Rothko (Abb. 1, u.r.). Auch historische Ereignisse blitzen auf: der epochale Raketenabschuss der Apollo 8-Mission (Abb. 1, u.l.) gesellt sich zur bekannten Fotoaufnahme von Bob Dylan und Muhammad Ali (Abb. 1., o.M.), die anlässlich des von Dylan organisierten Benefizkonzert am 8. Dezember 1975 in New York für den unrechtmässig inhaftierten Boxer Rubin „Hurricane“ Carter entstanden ist. Lediglich eine Bildvorlage stammt nicht aus dem Internet: die Dokumentation des Fällens einer Palme (Abb. 1, o.r.). Diese stand beim ehemaligen Anwesen von Stauchs Eltern auf Zypern und musste aus Altersgründen gefällt werden, bevor diese selbst ins Altersheim übersiedelten. Ein dichtgewebtes Konglomerat aus politisch-historischen Interessen, ausgeprägtem Sinn für Kunst und Musik und persönlichen Erinnerungen breitet sich da vor uns aus. Nicht ohne Grund gehörte die abgebildete, mit schweren Stoffen behangene Couch dem Psychoanalytiker Sigmund Freud (Abb. 1, o.l.). Wie im unberechenbaren Unterbewusstsein tauchen auch hier die unterschiedlichsten Versatzstücke auf, überlagern sich, fliessen in mächtigen Bildströmen zusammen.

Abb. 2: Dominik Stauch, Ohne Titel (Farbige Komposition), 1991, Farblithographie, 65 x 76 cm (Blattgrösse), Graphische Sammlung ETH Zürich (Inv.-Nr. 2019.255) © Künstler

Der eigentliche Dreh- und Angelpunkt

Die Blätter haben jedoch nicht nur eine reichhaltige inhaltliche «Unterfütterung». Auch ihre Machart ist im wahrsten Sinne vielschichtig. Für die Edition wurden fünffarbige Lithographien (wieder)verwendet, die Stauch bei und mit Thomi Wolfensberger geschaffen hat. Bei den allersten gemeinsamen Projekten des Künstlers und des Zürcher Steindruckers entstand 1991 und 1994 jeweils ein Einzelblatt (Abb. 2 und 3), wobei das letztere auch noch in einer weiterbearbeiteten Version vorliegt (vgl. Inv.-Nr. 2019.257). Die noch vorhandenen Exemplare dieser beiden Auflagen wurden 2015 jeweils mit zwei Farben überdruckt und daraufhin gestanzt. An die farbintensiven Drucke von Dieter Roth gemahnend reizt Stauch, der sein Handwerk bezeichnenderweise bei Richi Steffen gelernt hat, in seinen frühen Werken die Möglichkeiten der Farblithographie genüsslich aus. Allein in der Mitte ruht hier ein unbestimmtes Gebilde und lässt die Elemente um sich kreisen. Ähnlich wie dies nicht zuletzt bei Wolfensberger zu beobachten ist: Seine grossgewachsene Gestalt steht nicht nur im Zentrum aller Vorgänge in der Druckerei, seine Präsenz bietet auch und vor allem Halt im Auf und Ab der künstlerischen Suche, bildet den nötigen ruhenden Pol im Auge des Kreativitätsstrudels.

Abb. 3: Dominik Stauch, Ohne Titel (Farbige Komposition), 1994, Farblithographie, 65 x 76 cm (Blattgrösse), Graphische Sammlung ETH Zürich (Inv.-Nr. 2019.256) © Künstler

Arbeiten von Dominik Stauch werden auch in der nächsten Ausstellung «ON OBSERVING THE PRINTING. DOKUMENTATION DES KÜNSTLERISCH-TECHNISCHEN DRUCKPROZESSES», (7. Dezember 2022 – 12. März 2023) zu sehen sein, die sich dem vielgestaltigen Geschehen in der Steindruckerei Wolfensberger widmen wird:

https://gs.ulapiluh.myhostpoint.ch/vorschau/

Alle Blätter unter:
https://www.e-gs.ethz.ch/eMP/eMuseumPlus


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