No News!
Auf den ersten Blick erscheinen die Notional Newspapers (2005–2019) von Mark Manders (*1968) wie Ausgaben einer handelsüblichen Tageszeitung. Doch Überschriften wie «Hypocotyl Raki», «Curculio Bassos» oder «Kyphosis Leaf» rütteln gehörig am vertrauten Bild. Bei einer näheren Betrachtung wird deutlich, dass sich das seltsame Kauderwelsch, das uns auf den Titelseiten entgegentritt, durch die gesamten Inhalte zieht und damit jegliches Versprechen auf einen Informationsgehalt ad absurdum geführt wird.
Seit 2005 arbeitete Manders unter Mithilfe des Grafikers Hans Gremmen daran, sämtliche existierenden Worte der englischen Sprache in den Notional Newspapers (engl. notional = fiktiv, spekulativ) zu versammeln und dabei jedes Wort nur ein einziges Mal wiederzugeben. 2019 wurde das Vorhaben vom niederländischen Verlag Roma Publications als komplettes Set in Form von 10 Zeitungen herausgegebenen. Durch die zufällig hervorgebrachte Anordnung der abgedruckten Vokabeln entbehrt der Text jeglichen Sinn. Inhaltlich gleicht die Zeitung damit einem wild durcheinander gewürfelten Wörterbuch und erinnert an die undurchdringlichen Manuskripte in Jorge Luis Borges’ Parabel Die Bibliothek von Babel.
Entleerung, die der Fülle trotzt
Die einzelnen Wortgefüge der Zeitung sind gänzlich bedeutungslos. Zwar setzt Manders existierende Wörter ein, doch sie werden zu leeren Hülsen, die der Künstler nicht zu einem sinnhaften Text verbindet. Auch die abgedruckten Bilder helfen nicht weiter, da sie keinerlei Gehalt aufweisen. Zu sehen sind Nahaufnahmen eines fleckenübersäten Fussbodens sowie anderer Oberflächen, die der Künstler in seinem Atelier aufgenommen hat und die um Satellitenaufnahmen ergänzt wurden. Die ungegenständlich wirkenden Bilder ohne klar erkennbare Motive illustrieren nichts und entziehen sich weitgehend unserem Zugriff. Zwar ist jede einzelne Seite genauso bedruckt, wie man es von einer Zeitung gewohnt ist: Es gibt Überschriften, Leadtexte, Leitartikel und Kurznachrichten, in die Abbildungen und vereinzelte Zitate eingestreut wurden. Manders unterläuft jedoch gekonnt unsere Erwartung an das Printmedium, indem er die traditionelle Gestaltung einer Zeitung verwendet, jedoch keine Inhalte liefert: Es gibt weder eine Anbindung an einen örtlichen noch an einen zeitlichen Kontext.
Eine unendliche Sinnsuche
Selbst wenn wir um den Entstehungskontext der Zeitung wissen und uns keine Vermittlung des aktuellen Tagesgeschehens erhoffen können – der Wunsch, einen Sinn im Wiedergegebenen zu entdecken und das vorgefundene Rätsel zu entschlüsseln, bleibt. Manders macht hier die Funktionsweise des menschlichen Gehirns anschaulich, das stets danach bestrebt ist, Vorgefundenes einzuordnen und begreifen zu wollen. Er entlarvt gleichsam die Fehleranfälligkeit solcher Prozesse. Immer wieder verlesen wir uns; wir vertauschen Buchstaben, bis einzelne Wortfolgen sinnvoll erscheinen und interpretieren Bedeutung in die Sätze, wo keine intendiert war. Mit seiner enzyklopädischen Ansammlung von Wörtern präsentiert uns Manders’ Werk eine Sprache ohne Syntax, die wir unbewusst zu vervollständigen versuchen.
Mark Mander’s Arbeit ist bis zum 8. August 2021 in der Ausstellung «Räume des Wissens» zu sehen.