Strahlende Druckgraphik
Gewisse Freundschaften regen zu bislang unbekannten Vorhaben und Beschäftigungen an. Doch manchmal ist es auch umgekehrt: Aus neuen Tätigkeiten entstehen Freundschaften. Genau dies ist passiert, als der US-amerikanische Künstler James Turrell von seinem Verleger angeregt wurde, sich der Druckgraphik zuzuwenden. Empfohlen wurde ihm der Zürcher Tiefdrucker Peter Kneubühler, worauf die beiden mehrere Jahre lang fantastische Blätter kreierten – und zugleich sehr gute Freunde wurden. Eine grosse Anzahl dieser Werke befindet sich heute in der Graphischen Sammlung ETH Zürich.
Wenn Turrell die Entstehung seiner druckgraphischen Blätter mit Kneubühler beschreibt, vergleicht er sie gerne mit Jazz-Musik. Wie dort – so der Künstler – gehe man von einer gemeinsamen ersten Idee aus. Man wisse noch nicht, wohin alles führen würde, sondern lasse sich auf die gegenseitigen Inspirationen oder Vorschläge ein. Im Jahre 1984 reiste Turrell zum ersten Mal nach Zürich, um mit Kneubühler Druckgraphik umzusetzen. Allerdings hatte er gerade eine Rückenoperation hinter sich. Zusammen gingen sie daher die ersten beiden Wochen viel schwimmen und näherten sich vorerst im Gespräch den künstlerischen Vorstellungen an. Erst danach machten sie sich im Tiefdruckatelier an die Arbeit.
Abb. 1: James Turrell, Ohne Titel, Blatt 1 der Folge «Deep Sky», 1984, Aquatinta, 53.5 × 68.5 cm, Inv.-Nr. 2008.2514, Graphische Sammlung ETH Zürich / © James Turrell
Die optimale Technik
Rasch war klar, dass die Technik der Aquatinta für den Künstler ideal war. Wie in seinen international bekannten Lichtinstallationen wollte sich Turrell auch im Medium des Papiers mit dem Phänomen Licht beschäftigen. Ihn interessierte nicht die Darstellung von Linien oder Schraffuren, sondern das Festhalten von Flächen, die sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Farbnuancen voneinander absetzen und so an genau festgelegten hellen Stellen wie Licht strahlen. Solche Kompositionen konnte er mit der Technik der Aquatinta überzeugend kreieren.
Licht – zweidimensional
Noch 1984 schuf er mit Kneubühler seine erste Serie Deep Sky, die aus sieben Blättern besteht. Wie in vielen seiner druckgraphischen Arbeiten gibt es hier einen losen Bezug zu seinen Licht-Installationen. Manche Werke beziehen sich auf raumbezogene Licht-Räume, die Turrell in den 1960er-Jahren schuf. Blatt 1 von Deep Sky wiederum (Abb. 1) lässt den Roden Crater anklingen. An diesem gigantischen Landschaftsprojekt in der Wüste Arizonas arbeitet Turrell seit Jahrzehnten. In einen erloschenen Vulkan gräbt er Räume, Gänge und Öffnungen, die den Blick auf den Himmel frei geben. In Blatt 1 hat er eine atmosphärische Ansicht umgesetzt, in der die Silhouette des Vulkans unter dem sternenübersäten Himmel zu erkennen ist. Im Blatt 3 (Abb. 2) der Serie steht demgegenüber das Licht selbst im Zentrum, wie es in einem schmalen Streifen in einen dunklen Raum hineinleuchtet. Dass der Künstler im Austausch mit dem Drucker eine derartige Strahlkraft hervorbringen kann, zeugt von einem gegenseitigen tiefen Verständnis und ihrer einmaligen Zusammenarbeit.
Abb. 2: James Turrell, Ohne Titel, Blatt 3 der Folge «Deep Sky», 1984, Aquatinta, 53,5 × 68,5 cm, Inv.-Nr. 2008.2516, Graphische Sammlung ETH Zürich / © James Turrell
Diese Werke werden in der Ausstellung «Licht im Papier. Die Druckgraphik von James Turrell» vom 21. August – 10. November 2024 in der Graphischen Sammlung zu sehen sein.
Alle hier abgebildeten Werke und viele mehr entdecken Sie in unserem Sammlungskatalog Online: Sammlungskatalog Online – Graphische Sammlung ETH Zürich.