Utamaro und seine schönen Frauen: Aspekte der japanischen Frauen im achtzehnten Jahrhundert

Der Holzschnitt war im Japan des achtzehnten Jahrhunderts allgegenwärtig.  Die Technik des Holzschnitts wurde für alle möglichen Zwecke verwendet, von der Verzierung von Bonbonverpackungen bis zum Druck von offiziellen Dokumenten. Aufgrund ihrer grossen Beliebtheit wurden Ende des neunzehnten und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts grosse Mengen an Holzschnitten in den Westen exportiert. Viele Holzschnitte landeten in den Sammlungen bekannter Kenner, wie zum Beispiel die Sammlung von Charles Gillot, die 1904 in Paris zum Verkauf angeboten wurden. Die Graphische Sammlung erwarb über Woldemar von Seidlitz eine Reihe von Grafiken, darunter auch solche mit schönen Frauen.

Abb 1: Kitagawa Utamaro, Eine Frau, die einen Brief liest, 1791-92, Holzschnitt mit Farben, 378 x 253 mm, Graphische Sammlung ETH Zürich, Inv.-Nr. D 29468

Eine Einladung zum Ehebruch

Eine hübsche Frau (Abb. 1), umgeben von einem glitzernden, silbernen Hintergrund, liest einen Brief mit gespannter Aufmerksamkeit.  Vielleicht ein Liebesbrief, der an eine verheiratete Frau aus der Mittelschicht geschickt wurde. Das erkennen wir an Details im Holzschnitt: Dass sie verheiratet ist, wird an ihren rasierten Augenbrauen und ihren geschwärzten Zähnen (die durch das Einpinseln einer eisenhaltigen Flüssigkeit auf ihren Zähnen entstanden sind), beides Zeichen einer verheirateten Frau, ersichtlich. Und aufgrund ihrer luxuriösen Textilien wissen wir, dass sie zur bequemen Mittelschicht gehört, vielleicht die Frau eines wohlhabenden Kaufmanns.

Der Titel des Drucks, Zehn Klassen der weiblichen Physiognomie, ist einleuchtend. Die Serie ist nicht als klinische Studie der Psychologie gedacht, sondern zeigt eine Reihe von Bildern von Frauen in privaten, ungestellten Momenten, wie z. B. beim kontemplativen Rauchen einer Pfeife, beim Abtrocknen nach einem Bad oder, wie hier, beim Lesen eines Briefes von einem heimlichen Geliebten.

Anstatt traditionelle Frontalporträts von schönen Frauen zu zeigen, scheint Utamaro an das Interesse an der weiblichen Psyche zu appellieren, an die Betrachtung von bisher nicht untersuchten Aspekten des Lebens einer Frau – von intimen Momenten, die normalerweise nicht auf Papier festgehalten werden. Utamaro unterstreicht diesen Ansatz, indem er die Frau in einer leicht schiefen Pose darstellt – als ob dieser Moment schnell verging, zu schnell um sich richtig aufzustellen.

Abb 2: Kitagawa Utamaro, Ein Blick auf Okita vom Naniwaya am Akakusa-Tor, 1794, Holzschnitt mit Farben, 378 x 248 mm, Graphische Sammlung ETH Zürich, Inv.-Nr. D 29482

Die Kellnerin Okita

Dieser Druck und andere Frauenbilder des japanischen Meisters der Frauenporträts, Kitagawa Utamaro (ca. 1753-1806), sind in der Ausstellung «Linien aus Ostasien. Japanische und chinesische Kunst auf Papier» (noch bis 13.11.2022) in der Graphischen Sammlung ETH Zürich zu sehen.  Ein weiterer Druck, der zu Recht Aufmerksamkeit erregt hat, ist das Porträt von Okita (Abb. 2), einer Kellnerin in einem Teeladen. Okita war berühmt dafür, dass sie ihre vielen Liebhaber abwies, und wir sehen sie hier mit einem zerknüllten Liebesbrief an ihrer Seite, während sie die Glut ihres Zimmerofens zurechtrückt. In dem Gedicht in der dünnen und langen Kartusche in der oberen rechten Ecke werden die Freier mit der Nutzlosigkeit von Insekten verglichen, die gegen eine scharfe Schwertklinge fliegen.

Das Bemerkenswerteste an diesem sehr seltenen Druck ist vielleicht das Bilderrätsel in der großen quadratischen Kartusche.  Auf dem Rebus sind zu lesen: Prunkwinde (asakusa), ein Tor (mon), Gemüse (na), ein Garten (niwa), ein Pfeil (ya), ein Rattenschwanz (o), ein Kompass, der nach Norden zeigt (kita), eine Hausruine (haike) und ein Spinnennetz mit Akzentzeichen (zu).  Alles in allem heisst es: «Ein Blick auf Okita vom Naniwaya am Akakusa-Tor».

 

Ausstellung «Linien aus Ostasien. Japanische und chinesische Kunst auf Papier» (17.08 bis 13.11.2022)


Kommentare

  1. Renate Walter-Friedrich

    Vielen Dank für die Abbildungen. und den Erläuterungen. Das macht Lust auf die Ausstellung.

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