Von blöden Blumen und dummen Lilien

Installationsansicht «Sweet Nothings. Graphikfolgen von Thomas Schütte», Graphische Sammlung ETH Zürich (Photo Livio Baumgartner)

Umgeben von Blumen
In der Küche von Thomas Schütte (*1954) stehen immer Blumen auf dem Tisch. Mit Vorliebe lässt sie der deutsche Künstler auch dann stehen, wenn sie am Verwelken sind und die unterschiedlichsten Stadien durchlaufen. 1994, nachdem seine Tochter auf die Welt gekommen ist, beginnt Schütte während des Babysittens Blumen zu zeichnen. Zunächst aquarelliert er vor allem, später finden die floralen Motive auch Eingang in seine Graphik. Dankbar sind die klassischen Sujets der bildenden Kunst nicht nur wegen ihrer Schönheit. Schütte begeistert sich vor allem für ihr narratives Potential: Für ihn erzählen all die unterschiedlichen Arten Geschichten, können gar richtige Liebessongs singen.

Schütte Druckgraphik Blumen Blog Graphische Sammlung ETH Zürich Alexandra Barcal

«Silly Lily», Blatt aus der genannten Mappe mit Original-Umschlag und -Schuber aus Packpapier
Graphische Sammlung ETH Zürich / © Thomas Schütte

Die Graphikfolge «Silly Lilies»
Ab 1987 erscheinen vereinzelt grössere Zyklen des Künstlers, etwa in Siebdruck, Schütte unternimmt aber auch Versuche in Hochdruck und Offset. Nach Ausflügen in andere Drucktechniken kehrt Schütte fast zehn Jahre nach dem ersten Projekt (Auftrag für die Griffelkunst von 1986) wieder zur Lithographie zurück. Und schafft mit seinen sieben Darstellungen von schlichten Lilienblüten gleich ein prächtiges Exempel zeitgenössischer künstlerischer Druckgraphik: 1995 gibt der Keramiker Niels Dietrich, mit welchem Schütte immer wieder Kunstwerke aus Keramik schafft, die Mappe Silly Lillies heraus. Dank der technischen Beschaffenheit des Flachdrucks, wo direkt auf den Lithostein gezeichnet wird und somit eine direkte Übertragung seiner meisterlichen Zeichnungstechnik möglich ist, gelingt es Schütte, Drucke von intensiver Schönheit zu schaffen. Neben dem untrüglichen Gespür für Farben beweist er auch einen feinen Sinn für Materialien. Die Folge wird in zwei verschiedenen Ausführungen publiziert. Zusätzlich zu der Suite auf schwerem handgeschöpftem Büttenpapier in einer Auflage von 50 Exemplaren lässt Schütte auch noch 30 Sets auf gleichgrossem hauchdünnem Chinapapier drucken, deren Blätter jedoch zusammengefaltet in eine edle Schachtel gelegt werden. Beide Editionen finden reissenden Absatz und sind heute vergriffen. Eine glückliche Fügung ermöglichte es der Graphischen Sammlung diese Folge neu in ihren Bestand aufzunehmen: als eine der ausgestellten Suiten bleibt sie auch nach der Ausstellung «Sweet Nothings. Graphische Folgen von Thomas Schütte» (14. November 2018 – 27. Januar 2019) dauerhaft in der Sammlung.

Durch die Blume gesagt
Dem vordergründig lieblichen Thema der Blumen, einer heutzutage vermeintlich überkommenen Ikonographie, ist durchaus eine universelle Aussage eingeschrieben: Mit der wiederholten Porträtierung der «dummen» Lilien, die sich insbesondere in der christlichen Konnotation einer langen Tradition erfreuen, hat Schütte gleichzeitig ihren langsamen Tod auf dem Stein mitgezeichnet und für immer festgehalten. Trotz dieser existenziellen Schwere kommen die Drucke unpathetisch daher, statt todernst mutet der Ton selbstironisch an: Ärgert sich da der Künstler selbstkritisch über eigene Unzulänglichkeiten – vgl. die Inschrift «BLÖDE BLUME» auf einem der Blätter –, bewertet er seine Versuche – «FALSCH» oder «GUT»? Schwingt da im Wortspiel gar ein gekränkter Stolz ob einer verflossenen Liebe gleichen Namens mit, während der Künstler nicht zuletzt generell über die Vergänglichkeit sinniert?


ARTIKEL KOMMENTIEREN

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*