Wenn alte Bräuche Neues entdecken lassen
Feuchte Angelegenheiten
Peter Kneubühler (1944–1999) war seines Zeichens ein weit über die Grenzen Zürichs, ja international bekannter Kupferdrucker. Als 2008 sein Nachlass in die Graphische Sammlung ETH Zürich kam, war darunter auch eine Kuriosität: mit dem gesamten Druckerarchiv gelangte auch der Gautschbrief des Meisterdruckers in die Sammlung. In dieser Urkunde wurde dem Drucker-Nachwuchs feierlich nach alter Tradition die erlangte berufliche Reife bescheinigt. Gautschen ist ein bis ins 16. Jahrhundert zurückgehendes Ritual innerhalb der «schwarzen» Zunft, bei dem ein angehender Buchdrucker nach bestandener Abschlussprüfung in einem Wasserzuber – einer Bütte, davon leitet sich nicht zuletzt auch das Bütten(papier) ab – untergetaucht wurde. Alternativ konnte er auch auf einen nassen Schwamm gesetzt werden. Auf jeden Fall keine trockene Angelegenheit – wenn man das anschliessende Trinkgelage mitbedenkt. In seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichnete der Begriff den ersten Entwässerungsschritt nach dem Schöpfen der Papiermasse, das «Stürzen» des frisch geschöpften Papierbogens vom Sieb auf eine Filzunterlage.
Ausgestellt und doch verborgen
Akkurat in einem hübschen Holzrahmen hing das Dokument in der Werkstatt von Kneubühler, bis es eingerahmt mit den anderen persönlichen Objekten des legendären Druckers – wie etwa seinem Blindstempel oder seinen diversen Werkzeugen – ins Archiv der Sammlung aufgenommen wurde. Nach vielen Jahren nun wurde vor kurzem bemerkt, dass der metallene Kopf des kleinen, an mit gezwirnten roten Schnüren am Dokument befestigten Symbol-Hammerleins durch sein schieres Gewicht abgebrochen sein muss. Sogleich machte sich unser Papierrestaurator Kevin Cilurzo ans Restaurieren. Und förderte Überraschendes zu Tage! Auf der Rückseite des montierten Briefes entdeckte er nach dem Ausrahmen einen von Hand gezeichneten Entwurf. Schnell konnte die Urheberschaft bestimmt werden: allein anhand der verwendeten Requisiten in der apokalyptisch anmutenden Szenerie war schnell klar, hier musste es sich um eine der wenigen Zeichnungen von Franz Anatol Wyss (*1940) handeln. Warum nur befand sich das Blatt über die Jahre hinweg unentdeckt im Gehäuse?
Die Kunst der Kombinatorik
Der Solothurner Künstler muss als ein eigentlicher Veteran der zeitgenössischen Schweizer Druckgraphik bezeichnet werden. Seit 1966 schafft er bis heute unermüdlich graphische Arbeiten. Sein Beitrag zur Weiterentwicklung dieser traditionellen Kunstgattung ist zweifellos eminent, hat er doch nicht zuletzt gerade den berühmten Zürcher Kupferdrucker ab 1970 in die Geheimnisse des Tiefdruckes eingeführt, ja ihm einzelne Techniken gar beigebracht. Zusammen haben sie einzelne Verfahren zur Vollendung gebracht, was unter anderem auch am gemeinsamen Tüftel-Interesse gelegen hatte. Wyss‘ graphische Blätter geben ein beredtes Bild der gemeinsam perfektionierten Kombination von Vernis mou und Aquatinta. Für diese pflegte er in den 1980er Jahren einzelne Vorzeichnungen anzufertigen. Zu kunstvollen Assemblagen wusste Wyss auch seine Bilder zu komponieren: wie Überreste einer gestrandeten Zivilisation finden sich hier einzelne Gegenstände vor architektonischen Elementen in einer schroffen Landschaft drapiert.
Auflösung eines Rätsels
Und was hatte es mit der rätselhaften Rahmung auf sich? Als der Künstler vom überraschenden Fund unterrichtet worden ist, eilte er rasch herbei, um diesen selbst neugierig zu begutachten. Nach dessen eingehendem Studium musste er leider Entwarnung geben: beim gefundenen Blatt handelt es sich um kein heimliches Zeichen oder eine unterhaltsame Anekdote. Vielmehr ist die Platzierung auf der Rückseite des Gautschbriefes eher praktischen Überlegungen geschuldet: Kneubühler, ganz der Pragmatiker, wählte den Rahmen vermutlich allein aufgrund des passenden Formats. So unmotiviert war seine Wahl ja nicht, findet sich der Lehrling hier doch mit seinem einstigen Mentor vereint.
Dieses und weitere Werke des Künstlers finden sie auf unserem Sammlunskatalog Online.
Weitere Informationen: http://www.franzanatolwyss.ch/