Wenn Architektur auf Poesie trifft – Dem Architekten und Künstler Bryan Cyril Thurston zum 90. Geburtstag

Vielschichtig wie seine Bauprojekte ist auch das künstlerische Schaffen des Architekten und Künstlers Bryan Cyril Thurston, von allen kurz Bryan genannt. Inspiriert durch den berühmten britischen Maler und Radierer Stanley William Hayter und dessen legendäre Druckwerkstatt ATELIER 17 hat er in seinem langen und ausserordentlich produktiven Leben auch unzählige druckgraphische Blätter geschaffen. Dieses Jahr konnte der unermüdliche Erschaffer neuer Welten seinen neunzigsten Geburtstag feiern!

Bryan Cyril Thurston 2016 in der Ausstellung der Graphische Sammlung ETH Zürich © Foto: Livio Baumgartner

Der britisch-stämmige Architekt, geboren 1933 im ostenglischen Leiston/Suffolk, lebt seit 1955 in der Schweiz – im «Exil» wie er sagt, wohin ihn die Liebe geführt hat. Ausgebildet am Londoner RIBA fand er in Zürich eine Anstellung bei Eduard Neuenschwander. 1976 machte sich Bryan selbständig und realisierte in seiner Laufbahn zahlreiche Bauprojekte: Neben Schulen und Wohnhäusern gehörten auch Sakralbauten zu seinem Portfolio. Dass Bryan stets ein kreativer Querdenker war, bewies er immer wieder mit seinen phantasievollen – jedoch nicht realisierten – Entwürfen: von einer Fertigstellung der von Corbusier geplanten, aber unvollendet gebliebenen Kirche in Firminy, über eine Hütte für Barack Obama, bis zum städtebaulichen Entwurf für die Neustadt von Biasca. Für einigen Wirbel sorgten immer wieder seine alternativen Vorschläge für bestehende oder bereits genehmigte Gebäude. Hier ist etwa das Bundeshaus in Bern zu nennen, für welches Bryan grossangelegte Umgestaltungspläne direkt an den damaligen Bundesrat Moritz Leuenberger geschickt hatte. Aber auch für einige in Zürich bekannte, neuralgische Stellen bot der Visionär immer wieder eigene Lösungen an: So wollte er eine Art «Centre Pompidou» auf dem Kasernen-Areal errichten und für die Erweiterung des Kunsthaus Zürich präsentierte er bis ins Detail ausgearbeitete Ausführungspläne.

Bryan Cyril Thurston, White Line – Black Line – Colour, 1995, Radierung, Kaltnadel und Aquatinta, Graphische Sammlung ETH Zürich (Inv.-Nr. 2009.168) © Künstler

Den Himmel zurückdrehen

Im Nachgang seiner grosszügigen Schenkung widmete ihm die Graphische Sammlung 2016 eine feine kleine Ausstellung. Parallel zur strengen, klassizistischen Architektur von Karl Friedrich Schinkel im Hauptsaal wurden in den Korridor-Vitrinen Bryans poetische Werke ausgebreitet: Neben Skizzenbüchern und architektonischen Plänen aus seinem Besitz waren Aquarelle, Collagen und Radierungen aus dem eigenen Bestand zu sehen – andere umfangreiche Konvolute befinden sich heute im gta Archiv und der Schweizerischen Nationalbibliothek, um nur einige Institutionen zu nennen. Wer BCT persönlich kennt, weiss, dass er nicht nur bei der Architektur, der «Mutter aller Künste», in erster Linie an Poesie und Musikalität denkt. Auch seine graphischen Werke sind durchdrungen von einem lyrisch-göttlichen Spiel. Nicht umsonst wählte Bryan als Ausstellungstitel ein Zitat aus dem Libretto zur Oper «Peter Grimes» des englischen Komponisten Benjamin Britten: Who Can Turn Skies Back and Begin Again. Im Übrigen soll es gemäss Thurston allerhöchstens zwei Künstler geben – den Venezianer Giambattista Tiepolo und den grossen italienischen Kupferstecher und Architekten Giovanni Battista Piranesi –, die diese Gabe besessen haben den Himmel zurückzudrehen und wieder von Anfang an zu beginnen.

Blick ins Druckatelier mit eigener Druckerpresse zuhause in Uerikon © Foto: Alexandra Barcal

Gebaute Welt

Es gebe zwei Arten von Architektur, wie Bryan stets predigt: Gottes Architektur in Form von Geologie und diejenige der menschlichen Erscheinungsart. Beides lässt er bis zum heutigen Tag in seine Kunst einfliessen. Ob die Tektonik der radierten Greina-Hochebene oder die abstrakten Felder einer Collage, Bryan ist ständig am Bauen: Er baut konkrete wie imaginäre Bauwerke, er baut Gedichte, er baut ganze Gedankengebäude. Auch bei der Einrichtung der Vitrinen berücksichtigte er Modulor-Masse und richtete die Pultvitrinen nach den Raumbegebenheiten aus. Gebaut hat sich der passionierte Drucker nicht zuletzt auch eine eigene Druckwerkstatt. Im Sinne seines grossen Vorbildes Stanley William Hayter, der 1927 in Paris eine Kunstschule für experimentelle Druckgraphik gründete, dort zuerst mit den Surrealisten und später in New York mit Kunstgrössen wie Jackson Pollock oder Louise Bourgeois zusammenarbeitete, ist Bryan in seinen Drucken immer auf der Suche nach einer neuen experimentellen Ausdrucksweise: Techniken werden kombiniert, verfremdet und weiterentwickelt.

Den Austausch mit ihm prägen bis heute seine Lieblingsthemen:  Religion und Musik, die tiefe Verehrung für den Tessiner Künstler Ubaldo Monico, seine Liebe zum Bleniotal und zu den unvergleichlichen Landschaften Schottlands. Legendär sind nach wie vor seine eigenwillig gestalteten Email-Nachrichten sowie die epischen Telefonate. Die Graphische Sammlung wünscht dem Jubilar, dem unverbesserlichen Weltverbesserer, dem Bewunderer von Dichtung und Dichter in einem, dem lieben Zeitgenossen Bryan noch viele weitere freudvolle Jahre und vor allem gute Gesundheit!

 

Alle Blätter unter: https://www.e-gs.ethz.ch/eMP/eMuseumPlus

Hinweis:
Nächsten Frühling soll das dokumentarische Filmprojekt «Greina – Full of Beans» von Patrick Thurston, das der Sohn des Künstlers zum runden Geburtstag realisiert hat, in die Kinos kommen

 


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