Der erste Matisse der Graphischen Sammlung

Henri Matisse, Ohne Titel (Danseuse), 1926/1927, Vorlage: «Étude pour danseuse classique» (1926). Aus der Folge «Dix danseuses» (publiziert 1927), Kreidelithographie auf Velin d’Arches, 50.3 × 34.7 cm, Graphische Sammlung ETH Zürich © Succession H. Matisse / 2020, ProLitteris, Zürich

Matisse in der Schweiz: vom Ladenhüter zum Sammlerstück
Schweizer Ausstellungshäuser in Zürich und Basel präsentierten in Gruppenausstellungen bereits kurz nach 1900 französische Kunstschaffende. Auch Matisse wurde ab 1908 immer wieder gezeigt und in den Folgejahren von Schweizer Galerien in ihr Programm aufgenommen – hier entpuppte er sich jedoch zunächst als Ladenhüter.

Es ist vor allem Galeristen und Künstlerfreunden mit Verbindungen nach Paris zu verdanken, dass Matisse zunehmend Anerkennung erfuhr. Sie bauten ein Netz an Kontakten auf und vermittelten ihn neben weiteren Künstlern in die Schweiz. Das Kunsthaus Zürich zeigte 1925 mit der Internationalen Kunstausstellung erstmals Gemälde, Zeichnungen und Lithographien von Matisse in einem grösseren Rahmen: im Oberlichtsaal – dem Kern der Ausstellung – reihten sich ausgewählte Arbeiten des Künstlers. Während sich einzelne Privatsammler bereits der Qualität bewusst waren, so war das Publikum gespalten, was das Presseecho entsprechend belegt. Das Kunsthaus liess sich hiervon nicht beirren und setzte ein Statement, indem es ihren ersten Matisse erwarb.

Matisse in der Graphischen Sammlung
Der erste Ankauf der Graphischen Sammlung folgte nur wenige Jahre später – noch vor der Basler Retrospektive 1931, die das Schaffen von Matisse erstmals in der Schweiz vorstellen sollte – so gilt der Ankauf der Institution als bemerkenswert.
Der Druckgraphik hatte sich der Künstler erst ab der Jahrhundertwende gewidmet. Das von der Graphischen Sammlung ETH Zürich erworbene Blatt stammt aus den späten 1920er Jahren, einer besonders produktiven Schaffensphase. Bei dieser im Jahr 1927 von der Galerie d‘Art Contemporain publizierten Serie «Dix danseuses» handelt es sich um eine Mappe mit zehn Kreidelithographien, die im Pariser Atelier Duchâtel gedruckt wurde.

Die Serie umkreist motivisch ein Kernthema des Künstlers: den Tanz. Hier interessiert er sich jedoch gezielt für die Ruhephasen vor, nach und zwischen den Einheiten. Die filigrane Tänzerin gibt er in stehenden, sitzenden und liegenden Positionen wieder. Das Blatt in der Sammlung zeigt das Modell sitzend, die Beine grazil übereinandergeschlagen, die Hände in die Hüfte gelegt und mit verträumtem, gesenktem Blick. Mit nuanciertem Strich erarbeitet Matisse hier eine Stofflichkeit und erzielt durch Schraffuren eine Räumlichkeit, in der die Figur besonders zur Geltung kommt.
Der erste Ankauf von 1929 sollte nicht der Letzte bleiben. Zwischen 1949 und 2006 gelangten weitere Arbeiten in die Sammlung und bieten hier einen Einblick in sein Schaffen.

Dieses und weitere Werke von Henri Matisse lassen sich im Sammlungskatalog Online entdecken.


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