Eine Frage nach dem Ort der Kunst

Der rote Holzdruck von 1995 ist im Kontext von Urs Frei’s grundlegenden Formulierungen in Plastik und Malerei zu sehen, die ihre Grammatik vorführen. Beim Druck ist es die Geste der Übertragung von Farbe mittels eines Druckstocks, die herausgestellt wird. Der Druck ist vor allen Dingen ein Abdruck, ein Abdruck eines Gegenstands auf Papier.

Abb. 1: Urs Frei, Ohne Titel, 1995, Holzdruck auf Velinpapier, Blatt 30.6 x 85.4 cm, Edition 1/25, Kupferdruck Peter Kneubühler, Zürich. Edition Cestio, Zürich, Graphische Sammlung ETH Zürich (Inv.-Nr. 1995.87) © Nachlass des Künstlers

Die Ironie des Druckes
Unschwer ist der Farbauftrag als Spur von drei banalen Dachlatten zu erkennen. Der Druck bildet keine «künstlerische» Bearbeitung des Druckstocks ab, da ist kein Schnitt. Einziges Motiv ist das Holzwerk selber mit seiner Maserung. Die Latten sind ein kostengünstiges Bau- und Werkmaterial, das zu den Standardmaterialien von Urs Frei gehörte. Auch der Farbton, das kräftige Verkehrsrot, hatte er für Plastik und Malerei regelmässig verwendet.

Der Abdruck der Latten auf dem Papierbogen wirkt salopp und sperrig. Die Massstäblichkeit des Bildgegenstands im Bildraum ist ausgereizt. Das lange Querrechteck ist ein ungewohntes Bildformat. Das Blatt lässt eher an eine auf dem Tisch liegende Unterlage denken denn an ein Mittel zur Schaustellung an der Wand. Eine Unterlage, auf die das Lattenstück beiseitegelegt wurde und hier seine Spur hinterlassen hat. So wäre der rote Abdruck eher beiläufig entstanden und nicht gezielt auf eine Präsentation hin. Doch da ist zu viel der Präzision des Druckers mit im Spiel, als dass dies der Fall sein könnte.

Dennoch ist dieser Gedanke nicht abwegig im Kontext eines Oeuvres, in dem Zufälle und scheinbare Nebensachen Merkmale der künstlerischen Produktion sind. Abdeckkartons, Schablonen sowie Schalbretter sind bei Urs Frei oft selber Teil des Werkes. Als Hilfsmittel der Konstruktion verweisen sie auf etwas, was abwesend ist. Und obgleich geformt, bleibt dieses Abwesende vage. Das ist in Hinsicht auf den Gebrauch der Werke und die Funktion der Kunst von Bedeutung. Vergleichbar der senkrecht im Raum stehenden Latte (Abb. 2), die, monochrom angemalt, eine Plastik ist, vor allem aber ein Instrument, das das Gesichtsfeld als visuelles Ereignis bewusst macht und damit das Umfeld der Latte zum Bild formt.

Abb. 2: Urs Frei, Ohne Titel, 1989, Acrylfarbe auf Holz, Glas, 148 x 7.6 x 7.6 cm, Privatsammlung, Courtesy Galerie Walcheturm, © Nachlass des Künstlers

Das Understatement des Druckstocks
Dem Unspektakulären der gedruckten Latten steht die Exklusivität des Papiers entgegen. Die Papierart «Zerkall-Bütten 230 g» ist nicht irgendein Papier, sondern ein kostbares, das im professionellen künstlerischen Druck Verwendung findet. Urs Frei hat beim Druck von 1995 mit dem renommierten Kupferdrucker Peter Kneubühler zusammengearbeitet. Frei hat selten so gearbeitet, dass er auf spezielle Technik und Fachpersonen angewiesen war. Der Holzdruck aber wurde auf einer Kupferdruckpresse in Kneubühlers Werkstatt hergestellt. Die Druckfarbe, eine hochpigmentierte Charbonnel Tiefdruckfarbe mit ausgezeichneter Leuchtkraft, wurde offenbar sorgfältig gemischt. Die drei Holzlatten sind fachmännisch zu einem Druckstock zusammengeleimt, die Unterseite ist plan geschliffen. Durchaus denkbar, dass es sich um ein Fundstück handelt, wie so vieles bei Urs Frei. Farbflecken an den Latten lassen allerdings darauf schliessen, dass sie aus dem eigenen Atelier stammen. Neben einem Auflageblatt, dem «Gut-zum-Druck» und einem «épreuve d’artiste» findet sich in der Graphischen Sammlung ETH Zürich heute auch der Druckstock. Er ist das Herzstück des Drucks.

Die Unterseite des Druckstocks weist 63 Bohrlöcher von zehn Millimeter Durchmesser auf. Sie sind erst nach dem Zusammenleimen der Latten angebracht worden, aber vor dem Schliff. Im Druckprozess selber scheinen sie keine Funktion gehabt zu haben. Sie sind ein Rätsel.
Der Druck gliedert sich in die Reihe derjenigen Arbeiten von Urs Frei ein, die auf ein unbestimmtes Abwesendes verweisen. Dieses Abwesende liegt hier im Druckstock, genauer: in den Bohrlöchern. Man kann sie als einen Kommentar lesen zum Widerstreit zwischen dem Einfachen der künstlerischen Konzeption, das bisweilen das kulturell Billige miteinbegreift, und dem technisch Perfekten der Ausführung. Ein Wiederstreit, der hier die Frage nach dem Ort der Kunst aufwirft.

Aus Anlass des Todes von Urs Frei am 17. Februar 2023 fand am 25. März 2023 in der Galerie Mark Müller in Zürich eine kleine Gedenkausstellung statt. Unter den sechs ausgestellten Werken der 1980er und 1990er Jahre fand sich auch der Holzdruck von 1995.

Abb. 3 und 4: Urs Frei, Druckstock (recto und verso) zu «Ohne Titel, 1995», 1995, Holz, 2.2 x 67.6 x 9.2 cm, Graphische Sammlung ETH Zürich (Inv.-Nr. 2008.1949) © Nachlass des Künstlers


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